Öl-Kriege und Fracking-Boom: Das große Geld riecht den nächsten Braten
Markus Gärtner 08.12.2014 Kopp- Online
Der Kampf um die Ölquellen hat seit Jahrzehnten mehr Einfluss auf die Weltpolitik als alle anderen Faktoren. Kriege im Nahen Osten, der Aufstieg der Chinesen zu einer neuen Seemacht, die globale Preisschlacht am Ölmarkt zwischen den USA, Saudi Arabien und Russland: Sie alle haben mit dem schwarzen Gold zu tun. Doch während die Verteilungskämpfe im Petro-Zeitalter einem neuen Höhepunkt entgegenstreben, passiert etwas ganz Seltsames:
Investoren lassen plötzlich Öl- und Gas-Aktien fallen wie heiße Kartoffeln, nicht nur weil die Ölpreise sinken und die Weltwirtschaft schwach ist. Denn in früheren Korrekturphasen sind Hedgefonds umfangreich in die ausgebombten Aktien eingestiegen und haben eilig die Scherben aufgelesen.
Nicht so dieses Mal, sagen Insider.
Mehr noch: E.ON wirft als größter deutscher Energiekonzern quasi über Nacht das konventionelle Geschäft über Bord und setzt nur noch auf erneuerbare Energien und die Stromnetze der Zukunft.
Selbst die Rockefeller-Erben – die so »ölig« sind wie es Industrielle nur sein können − wollen mit Öl und Gas plötzlich nichts mehr zu tun haben, sie ziehen 50 Milliarden Dollar aus Aktien fossiler Energiefirmen ab.
Was weiß das große Geld, was wir kleinen Anleger wieder einmal nicht mitbekommen haben? Ganz einfach: Im Bereich erneuerbare Energien nimmt ein gewaltiger weltweiter Investitions-Sturm seinen Anlauf.
Er wird derzeit vor allem von China und Nordamerika angetrieben. Und er schlägt selbst hartgesottene Öl- und Gas-Investoren in seinen Bann, weil er Milliarden und Aber-Milliarden Euro an Geschäft verspricht – und die nötigen Gewinne für Anleger gleich dazu.
Plötzlich wird unter Insidern nicht mehr über «Peak Oil« gesprochen, sondern darüber, wie viel von dem verbliebenen Öl und Gas vielleicht gar nicht mehr aus dem Boden geholt wird. Das hilft, Energie-Aktien zu den heißesten Kartoffeln zu machen, die es derzeit gibt.
Und im Hintergrund? Was passiert hinter der Bühne? Während viele von uns die Nase über die Klima-Konferenz in Lima rümpfen, die Energiewende in Deutschland heftig kritisiert wird und der Fracking-Boom in den USA die ersten Erschütterungen erlebt, setzen die Reichen und Mächtigen hinter den Kulissen plötzlich aggressiv auf das neue Energie-Zeitalter.
Dass es hier viel zu holen gibt, erzählen ihre Analysten uns erst, wenn sich alle Banker und Hedgefonds-Manager mit Aktien eingedeckt und in die vielversprechendsten Projekte eingekauft haben.
Man muss mehrere kanadische Zeitungen lesen, um zu erfahren, dass im Land der Ölsande auf einmal die Investitionen in dem Cleantech-Sektor um 37 Prozent in die Höhe schießen und das Ahornland im Bereich erneuerbare Energien plötzlich mehr Menschen beschäftigt, als in Albertas Ölsand-Gebieten.
Das alles ist in kurzer Zeit und unter dem Radarschirm der »Qualitätsmedien« passiert.
Ebenso in den USA. Unter Obama hat es im Bereich erneuerbare Energien peinliche Firmenpleiten gegeben. Und das umstrittene Fracking wurde als Hebel gegen die OPEC und für die Selbstversorgung gegen große Zweifel in der Öffentlichkeit durchgepeitscht. Das lesen wir in unseren Zeitungen.
Doch was dort seit Kurzem passiert, findet viel weniger Beachtung: Die lange ignorierten Wind- und Solar-Investitionen schießen regelrecht in den Himmel. Wal-Mart hat mehr Solar-Kapazität auf den Dächern seiner Supermärkte, als zwei Drittel aller US-Bundesstaaten.
Die Solar-Industrie in den USA baute ihre Installationen im vergangenen Jahr laut der Solar Energie Association so stark aus, dass in den vergangenen 18 Monaten zwischen Houston, Boston und Seattle mehr Solar-Kapazität installiert wurde, als in den 30 Jahren davor.
Während wir in den Mainstream-Medien von Öl-Kriegen im Nahen Osten und Fracking-Rekorden in Texas lesen, beginnen die USA plötzlich, sich in Windeseile mit Panels zu pflastern.
Dass weltweit in den vergangenen zweieinhalb Jahren zwei Drittel der gesamten existierenden Solar-Kapazität aufgebaut wurden, hängt aber nicht nur damit zusammen, dass Öl bis vor drei Monaten teurer geworden ist und die Preise für Solar-Panels stark gesunken sind.
Es hat vor allem mit einem Faktor zu tun, der ebenfalls im Mainstream-Blätterwald untergeht. Wir lesen über China, dass es langsamer wächst, dass seine Banken wackeln und der siedend heiße Immobilienmarkt seit Monaten korrigiert wird.
Was wir nicht lesen ist, dass China zur neuen Supermacht bei erneuerbaren Energien aufsteigt, um seine Luft zu retten. China, so sagt die Internationale Energie Agentur im neuen Monatsbericht vorher, wird am Ende dieses Jahrzehnts – in nur sechs Jahren – für 40 Prozent des weltweiten Wachstums bei erneuerbaren Energien aufkommen.
Die USA – bislang besessen von ihrem Fracking-Boom, der die Abhängigkeit von der OPEC beenden soll – hinken bereits jetzt hinterher und fürchten, bei wichtigen Technologien, die jetzt entwickelt werden, zurückzufallen.
Die Chinesen haben die Zeichen an der Wand frühzeitig erkannt und kontrollieren schon den größten Teil der 100 Milliarden Dollar schweren Photovoltaik-Industrie. Als Exporteur für Ausrüstungen, die in dieser Branche gebraucht werden, hat die Volksrepublik bereits die Führung übernommen.
Während Fracking-Barone in Texas, North Dakota und Pennsylvania noch triumphierend in Richtung Naher Osten grinsen, schauen sich US-Tech-Manager und Politiker in Washington verdutzt gegenseitig an. Die USA sind drauf und dran eine unglaubliche wirtschaftliche Chance zu verpassen.
Ihre Investoren jedoch nicht. Sie stürzen sich in »grüne Aktien« und Cleantech-Firmen, als gäbe es kein Morgen mehr.