Project Seal: Wie die USA Tsunami-Bomben testeten

Gerhard Wisnewski                                                                                           27.03.2013

Tsu­na­mi-Bom­ben gibt es nicht? Doch – gibt es. Schon gegen Ende des Zwei­ten Welt­krie­ges erprob­ten die Ver­ei­nig­ten Staa­ten vor der Küs­te Neu­see­lands Spreng­ver­fah­ren, um Flut­wel­len zu erzeu­gen. Eines der mög­li­chen Zie­le: Japan.

 

Whan­ga­pa­raoa, Neu­see­land: Grü­ne Wie­sen, lan­ge Sand­strän­de, locke­re Bebau­ung. Nur etwa 25 Kilo­me­ter von Auck­land ent­fernt ist die Halb­in­sel heu­te ein belieb­tes Erho­lungs- und Wohn­ge­biet für Bes­ser­ver­die­ner. Vor etwa 70 Jah­ren, gegen Ende des Zwei­ten Welt­krie­ges, war hier kaum etwas los. Nichts stör­te das Idyll der lan­gen Strän­de und ein­sa­men Buch­ten. Der idea­le Platz, um eine neue, furcht­erre­gen­de Waf­fe auszuprobieren.

Unter stren­ger Geheim­hal­tung expe­ri­men­tier­ten hier die USA gemein­sam mit Neu­see­land an einer Tsu­na­mi-Waf­fe, die das stil­le, blau­grü­ne Meer­was­ser in eine töd­li­che Bedro­hung ver­wan­deln sollte.

Dafür wur­den vor der Küs­te Spreng­la­dun­gen gezün­det, um künst­li­che Wel­len und Über­schwem­mun­gen zu erzeu­gen: »Über meh­re­re Mona­te hin­weg führ­ten sie fast 4.000 Test­ex­plo­sio­nen durch, um die Spreng­kraft, Zahl und Was­ser­tie­fe zu erpro­ben, die gebraucht wer­den wür­den, um einen Tsu­na­mi-Effekt zu erzeu­gen«, berich­te­te der neu­see­län­di­sche Jour­na­list Ray Waru, der das Pro­jekt aufdeckte.

In einem Archiv in Neu­see­land stol­per­te er kürz­lich über eini­ge ver­gilb­te Klad­den. Dar­un­ter auch eine mit der Auf­schrift: »Pro­ject Seal Abschluss­be­richt«. Datum: 18. Dezem­ber 1950. Ver­fas­ser: Pro­fes­sor T. D. J. Leech von der Uni­ver­si­tät Auck­land. Dar­in wur­den die Ver­su­che detail­liert beschrie­ben. Dem­nach began­nen die Tests spä­tes­tens 1944: »Die Ergeb­nis­se die­ser Expe­ri­men­te«, zitiert der Abschluss­be­richt US-Admi­ral Wil­liam F. Hal­sey, »zei­gen mei­ner Mei­nung nach, dass Über­schwem­mun­gen in der amphi­bi­schen Krieg­füh­rung eine defi­ni­ti­ve Angriffs­waf­fe mit weit rei­chen­den Mög­lich­kei­ten dar­stel­len. Es wäre sehr wün­schens­wert, wei­te­re For­schun­gen anzu­stel­len, um eine prak­ti­ka­ble Metho­de zu ent­wi­ckeln, die in einer offen­si­ven Krieg­füh­rung ein­ge­setzt wer­den könnte«.

Laut dem Jour­na­lis­ten Ray Waru wur­de bei den Ver­su­chen zwar kei­ne Tsu­na­mi-Wel­le erzeugt. Aller­dings sei man am Ende der Tests zu dem Schluss gekom­men, dass 2.000 Ton­nen Spreng­stoff in eini­gen Kilo­me­tern Ent­fer­nung von der Küs­te rei­chen wür­den, um eine zehn bis zwölf Meter hohe Wel­le zu erzeu­gen, die ein Bau­werk an der Küs­te weg­schwem­men wür­de. Zwar nen­ne der Abschluss­be­richt kei­ne kon­kre­ten Ein­satz­be­rei­che. Aber ver­mut­lich hät­ten die Mili­tärs meh­re­re Anwen­dungs­ge­bie­te im Auge gehabt: »Wahr­schein­lich wäre

Japan das Pri­mär­ziel gewe­sen, ver­mut­lich Küs­ten­städ­te und Küs­ten­be­fes­ti­gun­gen, und wahr­schein­lich haben sie die Tsu­na­mi-Bom­be als ein Mit­tel gese­hen, den Weg für eine Inva­si­on zu ebnen.«

Spreng­ver­su­che für »Pro­ject Seal«

Nun, wie man weiß, ging die Geschich­te des Zwei­ten Welt­krie­ges anders wei­ter. Statt einer Tsu­na­mi-Bom­be kamen zwei Atom­bom­ben zum Ein­satz, die am 6. und 8. August 1945 Hiro­shi­ma und Naga­sa­ki ver­wüs­te­ten und dabei weit über 100.000 Men­schen umbrach­ten. Trotz­dem ist kaum anzu­neh­men, dass die Tsu­na­mi-Bom­be aus den Arse­na­len der USA ver­schwun­den ist. Im Gegen­teil. Denn erst zusam­men mit der Atom­bom­be dürf­te die Tech­no­lo­gie rich­tig effek­tiv gewor­den sein. Genau genom­men kann man nicht wis­sen, wo die USA seit­her mit der Tsu­na­mi-Waf­fe her­um­ge­spielt haben oder noch herumspielen.

Denn nor­ma­ler­wei­se kann der Angriff bei Nacht und auf hoher See erfol­gen: Irgend­wo vor einer Küs­te wird unter Was­ser eine Nukle­ar­waf­fe zur Explo­si­on gebracht, und schon gibt es den »schöns­ten Tsu­na­mi«. Die seis­mi­schen Erschüt­te­run­gen fal­len gar nicht auf, weil einem sol­chen Tsu­na­mi schließ­lich immer ein Erd­be­ben vor­aus­geht. Und wenn durch die Über­schwem­mung noch ein Kern­kraft­werk an der Küs­te hoch­geht, umso bes­ser – denn so kann man auch gleich den radio­ak­ti­ven Fall­out der Nukle­ar­waf­fe erklären…