»US-Behörden lügen seit Jahren« Kriegsverbrechen durch CIA und US-Militär auf deutschem Boden?

Veröffentlicht am 11. Dezember 2013von Redaktion TITEL-Kulturmagazin

Interview | Medea Benjamin im Gespräch mit Wolf Senff

Medea Ben­ja­min – Foto: Laika-Verlag
Sie ist Mit­be­grün­de­rin der Frie­dens­or­ga­ni­sa­ti­on Code­pink und hat im Novem­ber die inter­na­tio­na­le »Dro­ne Summit«-Konferenz in Washing­ton sowie eine Anhö­rung im US-Kon­gress mit Droh­nen­op­fern aus dem Jemen orga­ni­siert: MEDEA BENJAMIN zählt in den USA zu den pro­mi­nen­tes­ten Akti­vis­ten. Für TITEL-Kul­tur­ma­ga­zin führ­te WOLF SENFF ein Inter­view mit ihr.
Unter­bre­chung der Rede Prä­si­dent Oba­masMedea Ben­ja­min gehört zu den Initia­to­ren der Gaza-Soli­da­ri­täts­flot­te und wur­de 2005 für den Frie­dens­no­bel­preis vor­ge­schla­gen. Ihr unlängst bei Lai­ka erschie­ne­nes Sach­buch Droh­nen­krieg. Tod aus hei­te­rem Him­mel, Mor­den per Fern­be­die­nung zeigt das nai­ve, durch wenig Rea­li­täts­sinn getrüb­te Ver­trau­en, das sei­tens der US-Poli­tik in die Droh­nen-Kriegs­tech­no­lo­gie gesetzt wird, schil­dert das Elend der Opfer und belegt den welt­weit wach­sen­den Wider­stand gegen die Poli­tik geziel­ter Tötung durch Drohnen.
Medea Ben­ja­min arbei­te­te zehn Jah­re lang als Wirt­schafts- und Gesund­heits­wis­sen­schaft­le­rin für die Welt­ge­sund­heits­or­ga­ni­sa­ti­on und die UNO. Ihre Unter­bre­chung der Rede Prä­si­dent Oba­mas über den Ein­satz von Droh­nen im »Krieg gegen den Ter­ror« im Mai 2013 erhielt welt­wei­te Medi­en­auf­merk­sam­keit, und selbst Oba­ma sag­te über sie: »The voice of that woman is worth pay­ing atten­ti­on to … the­se tough issues, and the sug­ges­ti­on that we can gloss over them is wrong.«
Der der­zei­ti­ge Deutsch­land­auf­ent­halt Medea Ben­ja­mins soll eine Inten­si­vie­rung der inter­na­tio­na­len Zusam­men­ar­beit zur Äch­tung von Kampf­droh­nen und Kil­ler-Robo­tern und die Sen­si­bi­li­sie­rung der Öffent­lich­keit in Euro­pa, ins­be­son­de­re in Deutsch­land, für die­ses The­ma beför­dern. Neben Zusam­men­tref­fen mit Ver­tre­tern der Zivil­ge­sell­schaft wird Medea Ben­ja­min sich mit Ver­tre­tern der Bun­des­re­gie­rung und aller Bun­des­tags­frak­tio­nen aus­tau­schen, um die Rol­le Deutsch­lands im US-Droh­nen­krieg zu erör­tern und gleich­zei­tig die umstrit­te­nen Plä­ne einer Bewaff­nung der Bun­des­wehr mit Kampf­droh­nen wie auch die schon ange­kün­dig­te deut­sche Unter­stüt­zung der Ent­wick­lung der Droh­nen­tech­no­lo­gie auf EU-Ebe­ne thematisieren.
Frau Ben­ja­min, wie erklä­ren Sie die Tat­sa­che, dass die Bevöl­ke­rung den Ein­satz von Droh­nen als Mit­tel der Krieg­füh­rung in wach­sen­dem Umfang missbilligt?
Medea Ben­ja­min: Uns wur­de das fal­sche Image ver­kauft, nach dem Droh­nen prä­zi­se, human und effek­tiv sei­en. Je mehr die Men­schen aber die Rea­li­tät ken­nen­lern­ten, des­to ent­schie­de­ner lehn­ten sie den mili­tä­ri­schen Ein­satz der Droh­ne ab. Droh­nen im Ein­satz töten vie­le Unschul­di­ge, sie sind das bes­te Werk­zeug, um Nach­schub für Extre­mis­ten zu rekru­tie­ren, sie beflü­geln die anti-west­li­che Stim­mung und sie sind eine Garan­tie für dau­er­haf­ten Krieg anstel­le von Verhandlungslösungen.
Die Infor­ma­ti­on, dass Droh­nen kei­ne zivi­len Opfer ver­ur­sa­chen, ist eine Lüge, oder?
Die US-Behör­den lügen seit Jah­ren. Zuerst hieß es im Jahr 2011, es gäbe kei­ner­lei zivi­le Opfer, dann wur­de zuge­ge­ben, es han­de­le sich um gering­fü­gi­ge Zah­len. Die Wirk­lich­keit ist, dass Hun­der­te unschul­di­ge Men­schen getö­tet wur­den und Tau­sen­de ver­mut­lich unbe­deu­ten­de Mit­glie­der von Grup­pen wie al-Qaeda und den Tali­ban, meis­tens Jugend­li­che und meis­tens Leu­te, die kei­ne Absicht und kei­ne Mit­tel zur Ver­fü­gung hat­ten, um die USA zu schä­di­gen. Wenn es Ziel der Droh­nen sein soll, hoch­ran­gi­ge al-Qaeda-Ziel­per­so­nen zu besei­ti­gen, gilt das für ledig­lich zwei Pro­zent aller Getöteten.
Man wun­dert sich sehr, wenn man die offi­zi­el­le Pro­pa­gan­da liest und plötz­lich mit der Rea­li­tät kon­fron­tiert wird. Wie stark ist der Wider­stand gegen Droh­nen in den USA selbst?
Anfang 2011 unter­stütz­ten mehr als acht­zig Pro­zent der Bevöl­ke­rung den mili­tä­ri­schen Ein­satz von Droh­nen. Heu­te liegt die­se Zahl bei eher sech­zig Pro­zent. Das beweist, dass die Ame­ri­ka­ner die Rea­li­tät die­ses Ein­sat­zes mehr und mehr ver­ste­hen, was den Aktio­nen sei­tens Code­pink und ande­rer Frie­dens­grup­pen zu ver­dan­ken ist.
Pro­gres­si­ve Demo­kra­ten hal­ten sich zurück

Wider­stand und Auf­klä­rung der Öffent­lich­keit sind außer­or­dent­lich wich­tig. Aber erfah­rungs­ge­mäß las­sen sich die gro­ßen Lini­en der Poli­tik dadurch kaum beeinflussen.
Der Wan­del der öffent­li­chen Mei­nung hat sich bereits aus­ge­wirkt. Die Regie­rung hat die Anzahl der Droh­nen­ein­sät­ze redu­ziert, und man ist inten­si­ver bemüht, zivi­le Opfer zu ver­mei­den. Aber das genügt uns nicht. Es ist auf­schluss­reich zu sehen, dass die gewähl­ten Ver­tre­ter weit hin­ter ihrer Wäh­ler­schaft zurück blei­ben, wenn es um die Ableh­nung von Droh­nen geht, und lei­der wird der mili­tä­ri­sche Ein­satz von Droh­nen durch bei­de eta­blier­te Par­tei­en, Repu­bli­ka­ner wie Demo­kra­ten, unter­stützt. Aber im All­tag, an der Basis, leh­nen die Men­schen über­ein­stim­mend und über ideo­lo­gi­sche und poli­ti­sche Gren­zen hin­weg die­se Poli­tik ab.
Es ist sehr bedau­er­lich, dass es sei­tens der Demo­kra­ten nicht mehr Wider­stand gibt.
Da die­se Poli­tik durch die Demo­kra­ten mit der Regie­rung Prä­si­dent Oba­mas ver­ant­wor­tet wird, hal­ten sich die pro­gres­si­ven Demo­kra­ten im Kon­gress zurück, die unter einer repu­bli­ka­nisch geführ­ten Admi­nis­tra­ti­on ener­gisch dage­gen ein­tre­ten wür­den. Die Repu­bli­ka­ner ihrer­seits sehen sich gern als Hard­li­ner in Fra­gen natio­na­ler Sicher­heit und unter­stüt­zen sowohl das Mili­tär als auch die CIA.
Ohne Ram­stein wären Droh­nen­an­grif­fe in Afri­ka nicht möglich

In wel­chem Umfang ist eigent­lich Ram­stein, der deut­sche Stütz­punkt der US-Army, in die­se Kriegs­füh­rung eingebunden?
Die U.S. Air Force ver­fügt nir­gend­wo außer­halb der USA über einen Flug­ha­fen, der grö­ßer wäre als Ram­stein. Die­ser rie­si­ge Stütz­punkt dient eben­falls als eine Ein­rich­tung der NATO, wo über fünf­zig­tau­send US-Bür­ger und Armee­be­diens­te­te gemein­sam mit Per­so­nal aus diver­sen Natio­nen Euro­pas beschäf­tigt sind. Ram­stein war immer schon eine bedeu­ten­de Dreh­schei­be im Trans­port von Sol­da­ten, Fracht und Waf­fen wäh­rend der Krie­ge in Jugo­sla­wi­en, Afgha­ni­stan und Irak.
Es ist höchst merk­wür­dig, in wel­chem Aus­maß das öffent­lich doch stets so fried­fer­tig auf­tre­ten­de Deutsch­land sich in die­se Akti­vi­tä­ten ver­wi­ckeln lässt.
Im Mai klär­ten Süd­deut­sche Zei­tung und Pan­ora­ma dar­über auf, dass das Air Ope­ra­ti­ons Cen­ter in Ram­stein eine zen­tra­le Rol­le in den US-Droh­nen­ein­sät­zen spielt, die sich gegen Ver­däch­ti­ge in Afri­ka rich­ten. Pilo­ten in den USA kom­mu­ni­zie­ren über eine Relais­sta­ti­on in Ram­stein und kon­tak­tie­ren Droh­nen auf Stütz­punk­ten in Afri­ka. Ohne Ram­stein wäre es nicht mög­lich, die Angrif­fe mit Droh­nen in Afri­ka und ver­mut­lich auch im Jemen und ande­ren Län­dern durchzuführen.
Dann ist Ram­stein offen­bar nicht wirk­lich tiefs­te Provinz.
In Ram­stein arbei­ten bis zu 650 Sol­da­ten und CIA-Agen­ten an andert­halb­tau­send Com­pu­tern und obser­vie­ren den euro­päi­schen und afri­ka­ni­schen Luft­raum mit­tels Auf­klä­rungs­droh­nen und Satel­li­ten­bil­dern; sie pla­nen neue Aktio­nen ein­schließ­lich der Ent­schei­dun­gen über Zie­le, für die töd­lich Ein­sät­ze vor­ge­se­hen sind.
UNO und EU wol­len mehr Transparenz

Die deut­sche Sei­te wäre in der Pflicht, etwas zu tun.
Die­se Art, Men­schen zu jagen, impli­ziert Hin­rich­tun­gen ohne Fest­nah­me, ohne Gerichts­ver­fah­ren, ohne Anhö­rung, ohne Schuld­spruch – was nach deut­schem Gesetz als Mord gilt. Und es ist noch nicht ein­mal im Ein­zel­nen bekannt, wel­che Berei­che des Krie­ges von Ram­stein und ande­ren deut­schen Stütz­punk­ten aus geführt wer­den, und zwar ohne Wis­sen oder Zustim­mung der deut­schen Bevölkerung.
Man kennt das lei­der. Es ist Heim­lich­tue­rei, und man ahnt die Hin­ter­grün­de oft nur.
In den USA erwar­ten wir mehr Trans­pa­renz sei­tens der Regie­rung und wol­len wis­sen, wie vie­le Zivi­lis­ten sie mit dem Ein­satz von Droh­nen töten. Auch die UNO erwar­tet mehr Trans­pa­renz und die EU unter­stützt die­se For­de­rung. Des­halb hof­fen wir sehr, dass die deut­sche Bevöl­ke­rung von ihrer Regie­rung erwar­tet, dass die­se das Recht hat, zu inspi­zie­ren, was in den US-Stütz­punk­ten auf deut­schem Boden abläuft. Und wir hof­fen eben­so, dass die deut­sche Regie­rung sich für Auf­klä­rung und gericht­li­che Ver­fol­gung ein­set­zen wird, falls es zutrifft, dass auf deut­schem Boden Kriegs­ver­bre­chen und Ver­let­zung inter­na­tio­na­len Rechts durch CIA und US-Mili­tär began­gen werden.
| Inter­view und Über­set­zung: WOLF SENFF
Ver­an­stal­tungs­ka­len­der mit Medea Ben­ja­min in Deutschland
Ber­lin
Frei­tag, 13. Dezem­ber, 12 Uhr
Über­ga­be einer Erklä­rung von Medea Ben­ja­min an Kanz­le­rin Merkel
Bun­des­kanz­ler­amt, Wil­ly-Brandt-Stra­ße 1
Leip­zig
Frei­tag, 13. Dezem­ber, 18 Uhr
Lesung und Diskussion
Medea Ben­ja­min: »Droh­nen­krieg – Tod aus hei­te­rem Himmel«
Lieb­knecht­haus, Brau­stra­ße 15
Ein­tritt frei
Ber­lin
Sams­tag, 14. Dezem­ber, 9.30 Uhr
Podi­ums­ge­spräch mit Medea Benjamin
»Why dro­nes? The func­tion of dro­ne war­fa­re in the US war on terror«
Im Rah­men der Außen­po­li­ti­schen Jah­res­kon­fe­renz der Rosa-Luxem­burg-Stif­tung: »Deut­sche Außen­po­li­tik. Alternativen«
Rosa-Luxem­burg-Stif­tung, Franz-Meh­ring-Platz 1
Ein­tritt frei
Stutt­gart
Sams­tag, 14. Dezem­ber, 19.30 Uhr
Lesung und Diskussion
Medea Ben­ja­min: »Droh­nen­krieg – Tod aus hei­te­rem Himmel«
Mit Tobi­as Pflü­ger von der Infor­ma­ti­ons­stel­le Mili­ta­ri­sie­rung (IMI).
ver.di tHeo.1, Theo­dor-Heuss-Str. 2
Ein­tritt frei
Stutt­gart
Sonn­tag, 15. Dezem­ber, 11 Uhr
Demons­tra­ti­on vor dem AFRICOM
Zusam­men mit MdB Hei­ke Hänsel
Pli­en­in­ger Straße
Frank­furt am Main
Sonn­tag, 15. Dezem­ber, 16 Uhr
Lesung und Diskussion
Medea Ben­ja­min: »Droh­nen­krieg – Tod aus hei­te­rem Himmel«
Bil­dungs­raum, Schönstr. 28
Ein­tritt frei