Europawahl: Heimatgefühle gegen Brüsseler Zentralismus

Eva Her­man 26.5.2014

STIMME RUSSLANDS Euro­pa hat gewählt. Einem Pau­ken­schlag gleich, zei­gen sich die kon­ser­va­ti­ven Par­tei­en auf dem Vor­marsch. Medi­en und Poli­ti­ker hat­ten dies im Vor­feld bereits befürch­tet, der Feind war als rechtslas­tig, als rechtspopu­lis­tisch, als rechtsextrem aus­ge­macht wor­den. Auch als euro­pa­feind­lich. Doch was bedeu­ten die­se Begrif­fe eigent­lich und in wel­chem Ver­hält­nis ste­hen sie zur Wahr­heit   Die Zei­tun­gen sind voll davon, Radio und Fern­se­hen berich­ten rauf und run­ter über die erd­rutsch­ar­ti­gen Sie­ge der „Euro­has­ser“, der »Euro­pa­geg­ner“. Ohne über den Sinn die­ser Begrif­fe nach­zu­den­ken, wer­den sie von bekann­ten Mode­ra­to­ren eben­so benutzt wie von Ver­tre­tern bedeu­ten­der Tages-und Wochen­zei­tun­gen. Wer sich die Mühe macht, her­aus­zu­fin­den, war­um Par­tei­en wie die deut­sche AfD, die öster­rei­chi­sche FPÖ, die fran­zö­si­sche Front Natio­nal oder die bri­ti­sche Ukip die­se enor­men Zuwachs­ra­ten über­haupt ver­zeich­nen konn­ten, der stößt mit­nich­ten auf eine Euro­pa­geg­ner­schaft. Die aller­meis­ten Bür­ger unse­res Kon­ti­nents spre­chen sich näm­lich FÜR Euro­pa aus. Sie sind stolz, auf einem kul­tu­rell hoch­ent­wi­ckel­ten Erd­teil leben zu dür­fen, auf der Erde ihrer Väter und Müt­ter. Doch seh­nen sie sich eben­so nach Akzep­tanz ihrer regio­na­len Wur­zeln, nach ihrer spe­zi­el­len Tra­di­ti­on, die viel mit der Gegend zu tun hat, in die sie gebo­ren wur­den und auf­wuch­sen. Es geht um den Begriff Heimat.

Hei­mat, ein Wort, das in den Her­zen der Men­schen schwin­gen will, gleich­gül­tig, ob man ihnen weis­macht, dass dies poli­tisch nicht erwünscht ist. Hei­mat, jeder Mensch braucht die­se wich­ti­ge Ver­an­ke­rung, sind doch hier die Wur­zeln sei­nes Lebens und sei­ner Ahnen zu fin­den, dreht sich hier seit Urzei­ten sein Gene­ra­tio­nen­rad. Hier ist die Erde, aus der der Mensch kommt, und wohin er auch wie­der zurück­ge­hen wird, zumin­dest der kör­per­li­che Teil.

Mit der unrühm­li­chen Geschich­te des Ers­ten und Zwei­ten Welt­krie­ges wur­de der Begriff Hei­mat unbrauch­bar gemacht, wur­de mit unschö­nen Erleb­nis­sen ver­bun­den. Heu­te ist er poli­tisch unkor­rekt. Eini­ge euro­päi­sche Völ­ker sche­ren sich über­haupt nicht um die neu­en Begriffs­deu­tun­gen der Brüs­se­ler Zen­tral­re­gie­rung, neh­men wir die Fran­zo­sen. Sie den­ken in den Gren­zen ihres Lan­des, hier sind sie genu­in, ursprüng­lich, ver­bun­den mit Him­mel und Erde, hier füh­len sie sich rich­tig. Die Fran­zo­sen sind stolz auf ihr Land, egal, wie es auch dort gera­de drun­ter und drü­ber gehen mag. Das haben sie bei der Euro­pa­wahl 2014 mehr als deut­lich zum Aus­druck gebracht. Damit set­zen sie vor allem auch ein Zei­chen gegen den mas­si­ven Zustrom frem­der Natio­na­li­tä­ten, deren Volks­grup­pen schon gan­ze Lan­des­tei­le ihrer Hei­mat besiedeln.

Das­sel­be gilt für Groß­bri­tan­ni­en, für Ita­li­en, Däne­mark, Öster­reich oder sogar jetzt in Deutsch­land. Hier begin­nen sich die Men­schen noch zöger­lich zu wider­set­zen, das Stig­ma ihrer Schuld drückt noch enorm, wes­we­gen es zu gera­de ein­mal etwa sie­ben Pro­zent für die AfD reich­te, wäh­rend alle ande­ren weit über zwan­zig Pro­zent der Wäh­ler­stim­men erziel­ten. Der Trend ist klar: Die Völ­ker wol­len sich dem dik­tat­ähn­li­chen Ein­fluss der Brüs­se­ler Zen­tral­re­gie­rung ent­zie­hen, wo zen­tral gesteu­er­te Poli­ti­ker über Wohl und Wehe der ein­zel­nen Natio­nen pau­schal ent­schei­den. Da ist so vie­les gesche­hen in den letz­ten Jah­ren, womit sich die Bür­ger nicht mehr iden­ti­fi­zie­ren kön­nen: Alles soll gleich sein? Alle Völ­ker? Alle Natio­nen füh­len also gleich? Rumä­nen ticken ähn­lich wie etwa die Let­ten, oder die Schwe­den wie Ita­lie­ner? Schau­en wir doch nur nach Deutsch­land: Da soll­te man ein­mal einem Bay­ern sagen, dass er ähn­lich gestrickt sei wie ein Ber­li­ner. Da geht das Fin­ger­ha­keln gegen den Pief­ke, den „Sau­preißn“, aber gleich los!

Oder die Gleich­ma­che­rei des euro­päi­schen Gemü­ses: Sol­len wirk­lich alle Gur­ken Euro­pas den­sel­ben Krüm­mungs­grad haben? Alle Äpfel und Toma­ten gleich genormt sein? Und sind die Geschlechts­un­ter­schie­de tat­säch­lich irrele­vant, also, sind auch Mann und Frau in Wirk­lich­keit gleich? Komi­sches Europa.

Dann die Gemein­schafts­wäh­rung, der Euro: Die meis­ten Euro­pä­er woll­ten ihn damals nicht! Umfang­rei­che Wer­be­maß­nah­men mit hoch­ran­gi­gen Pro­mi­nen­ten wie ARD-Tages­the­men­star Ulrich Wickert oder Sabi­ne Chris­ti­an­sen wur­den gestar­tet, um den Men­schen klar­zu­ma­chen: Alle haben jetzt das glei­che Geld, das ist doch gut für Euch! Na, ja, was draus gewor­den ist, sehen wir ja heu­te: Trotz gro­ßer Ver­spre­chun­gen wie „Ret­tungs­schirm“ oder „Sta­bi­li­täts­pakt“ sind die Län­der rei­hen­wei­se in die Plei­te geschlit­tert, ande­re Natio­nen muss­ten ble­chen, was die Zufrie­den­heit nicht gera­de erhöh­te. Im Gegen­teil: Tie­fe Grä­ben tun sich auf zwi­schen den ärme­ren und den rei­che­ren Ländern…

Die Men­schen sind nicht so ahnungs­los, wie man­che Ver­tre­ter da oben glau­ben. Sie wol­len echt blei­ben, bei sich, in ihrer Kul­tur ver­an­kert, mit ihrer Hei­mat ver­bun­den. Dar­um geht es, um nichts ande­res. Sind die­se Men­schen, die sich am ver­gan­ge­nen Sonn­tag für rech­te Par­tei­en ent­schie­den haben, wirk­lich gegen Euro­pa? Nein, das sind sie defi­ni­tiv nicht! Sie sind gegen die Ein­rich­tung des immer grö­ßer wer­den­den EUn­ge­heu­ers, wel­ches sich selbst­zu­frie­den durch die Wäl­der, Flu­ren und Städ­te ihrer Hei­mat frisst, laut schmat­zend all das abgra­send und weg­schaf­fend, was ihnen einst hoch und hei­lig war: Ihre Kul­tur, ihre indi­vi­du­el­le Tra­di­ti­on, ihre Identität.

Die Men­schen seh­nen sich nach den alten Zei­ten zurück, als sie noch ganz selbst­ver­ständ­lich so sein durf­ten, wie es ihrem Inne­ren ent­sprach. Nein, sie wol­len nicht zen­tral regiert wer­den, son­dern sie spü­ren zuneh­mend, dass ihre Hei­mat ihr wich­tigs­ter Lebens­mit­tel­punkt ist, ihre Regi­on, in der sie leben. Des­we­gen sind sie jedoch nicht gegen Europa!

Weiß ein por­tu­gie­si­scher EU-Kom­mis­si­ons­prä­si­dent in Brüs­sel, was ein ost­frie­si­scher Bau­er denkt? Kann er ein­schät­zen, wel­che Zie­le eine schwä­bi­sche Haus­frau hat, oder ein säch­si­scher Zim­mer­mann? Wohl kaum. Wie soll er die­se Gesell­schafts­grup­pen dann best­mög­lich in sei­nem gro­ßen Glas­bau-Par­la­ment vertreten?

Nein, die Men­schen des Abend­lan­des sind kei­ne Euro­pa-Geg­ner, son­dern sie weh­ren sich gegen gedan­ken-und herz­lo­sen, gegen men­schen­un­wür­di­gen Zen­tra­lis­mus. Das ist der sprin­gen­de Punkt. Man wür­de sich wün­schen, dass die Ver­tre­ter der gro­ßen Medi­en und der Poli­tik dies end­lich begrei­fen wür­den und ab sofort dif­fa­mie­ren­de Begrif­fe wie Euro-Has­ser, Euro­pa­geg­ner, Euro­pa­fein­de oder Rechts­po­pu­lis­ten und Dem­ago­gen unterlassen!

Und nun zur angeb­li­chen Rechtslas­tig­keit. Sind die­se Men­schen, die sich bei der Wahl gegen die gro­ßen Volks­par­tei­en ent­schie­den, rechts, also rechtspopu­lis­tisch, rechtsextrem? Was heißt das über­haupt, links und rechts? Ist das alles noch zeit­ge­mäß? Wohl nicht, denn die Begrif­fe stim­men ja nicht mehr, sie wer­den falsch aus­ge­legt, voll­kom­men umge­deu­tet. Wer sei­ne kul­tu­rel­le Iden­ti­tät wah­ren will, ist rechts, heißt es jetzt? Was bedeu­tet das im ursprüng­li­chen Sinne?

Der Begriff rechts ent­stammt dem indo­ger­ma­ni­schen Wort­stamm reg, wel­cher die sprach­ge­schicht­li­che Wur­zel dar­stellt für fol­gen­de Aus­drü­cke: sich auf­rich­ten, recken, gera­de­rich­ten, auf­rich­ten. Wer sich zum Bei­spiel die Seman­tik zur all­ge­mei­nen Recht­spre­chung anschaut, fin­det hier den Begriff rechts außer­or­dent­lich aus­ge­prägt: Rechts­ord­nung, Recht und Gesetz, das Rech­te wol­len, das Rich­ti­ge u.v.m. Es passt also genau zusam­men, wenn wir den ursprüng­li­chen Wort­stamm reg zugrun­de legen. Rechts hat durch­weg eine posi­ti­ve Begriff­lich­keit. Schau­en wir noch einen Schritt weiter:

Des Men­schen Tat-und Arbeits­hand ist aller­meist die rech­te. Aus­nah­men bestä­ti­gen die Regel. Es ist also nicht die lin­ke Hand. Wer sei­ne Klei­dung falsch her­um anzieht, trägt sie links. Wer sich falsch bewegt, ist lin­kisch. Wer gegen ande­re Men­schen hin­ter­trie­ben agiert, wird als lin­ker Vogel bezeich­net, der jeman­den linkt, also betrügt. Das neu­hoch­deut­sche links stammt aus dem mit­tel­hoch­deut­schen linc, lenc. Die ursprüng­li­che Bedeu­tung war unge­schickt.

Übri­gens wächst die Zahl jener Regio­nen in Euro­pa, die Unab­hän­gig­keit, also ihre natio­na­le Iden­ti­tät, anstre­ben, rasant. So wol­len sich zahl­rei­che Schot­ten vom Ver­ei­nig­ten König­reich abspal­ten. Eben­so strebt Kata­lo­ni­en sei­ne Unab­hän­gig­keit von Spa­ni­en an. Im März stimm­ten über zwei Mil­lio­nen Ein­woh­ner der Regi­on Vene­ti­ens für die Los­lö­sung, das waren fast neun­zig Pro­zent. Eben­so spre­chen sich immer mehr Sar­den für die Unab­hän­gig­keit aus, und selbst in Sizi­li­en gibt es zuneh­men­de Strö­mun­gen dafür. Bel­gi­en ist inzwi­schen in Fla­men und Wal­lo­nen auf­ge­teilt, auch in der Bre­ta­gne gibt es Los­lö­sungs­wün­sche von Paris. In Süd­ti­rol gärt es schon lan­ge, ein unab­hän­gi­ger Frei­staat wird hier von den EU-Geg­nern ins Visier genom­men… Und so wei­ter… Euro­pa 2014: Ein Kon­ti­nent vol­ler rech­ter Bür­ger? War­um eigent­lich nicht?